Das Erwachen des Schoßes als natürlicher Weg in die weibliche Spiritualität

Ein persönlicher Bericht von Mayonah Bliss

 

Eine weibliche Spiritualität leben – dieses Thema zieht sich durch mein ganzes Leben und berufliches Wirken.

 

Als Tochter von christlichen Eltern, mein Onkel war Pfarrer, habe ich eine christliche Erziehung genossen, ging regelmäßig in die Kirche, empfing die Sakramente, fuhr an Pilgerorte und ganz besonders gern nach Taize.

Schon früh hatte ich spirituelle Erfahrungen und mit 16 Jahren beim Singen

der Taizelieder mein erstes tiefes Gottes- oder Erwachenserlebnis.

Tiefe Liebe, göttlicher lichter Segen, der mich vollkommen durchströmte, das Fühlen von immenser Freiheit, einfach wach sein. Ich tanzte auf den Straßen.

 

Als ich mich in meinen 20er Jahren verstärkt meinem Frausein und der Suche nach einer erfüllten Sexualität zuwandte, verlor ich zunehmends meine Verbindung zum Christentum. Ich suchte nach weiblichen Vorbildern, Frauen, von denen ich etwas über weibliche Kraft und Weisheit lernen konnte und nach einem spirituellen Zugang zur Sexualität.

Beides fand ich in dem Christentum, wie es sich mir präsentierte nicht. In meinen Studien über Frauen in der Bibel fand ich zwar heraus, daß es sehr wohl kraftvolle Frauengestalten gab, die später aber entweder verschwiegen oder verdreht dargestellt wurden. Die weisen Frauen des Mittelalters verbrannt. Ja, und das Fleisch für sündig erklärt, Sexualität als schmutzig erachtet. Sünde ist etwas, was mich von Gott trennt, so heißt es. Also trennt mich Sexualität von Gott?

Nein, das entsprach nicht meiner inneren Wahrheit.

 

So kam ich zu einer klaren und tiefen Entscheidung: ich trete aus der Kirche aus. Ich möchte nicht mehr Teil sein eines Systems, das Frauen unterdrückt

und Sexualität entwertet! Und gleichzeitig entschied ich: ich trete ein in die Suche nach einer weiblichen Spiritualität!

 

Göttinnenreligion der Matriarchate

 

Ich suchte...und fand zunächst die Göttinnenreligionen der Matriarchate.

Aha! Es gab also bereits ein gelebte weibliche Spiritualität.

Eine Spiritualität, die zutiefst mit der Erde und ihren Zyklen verbunden ist, die die zyklische Natur allen Lebens anerkennt. Die Jahreszeiten. Der Mondzyklus. Der Menstuationszyklus. Die Phasen im Leben einer Frau.

Die Göttin in den drei Gesichtern der jungen, reifen und weisen Frau. Die Natur des Werdens, Erblühens, Reifens und Sterbens. Rituale und Feste, die zu Ehren der Jahreszeiten und ihrer Übergänge wie auch zu Ehren der Übergänge im menschlichen Leben gefeiert wurden. Initiationen für die jungen Frauen und Männer ins Frau- und Mann-werden.

Eine Spiritualität, die die Sexualität feiert und ehrt als eine heilige Schöpfungskraft. Hier war nichts von Schuld und Scham zu spüren. Sexualität galt einfach als göttliche Lebensenergie, die uns tiefer mit allem Sein verbindet. Manche religiöse Riten bezogen die Sexualität mit ein, wie die Fruchtbarkeitsriten auf den Feldern, bei denen die fließenden Säfte als segensspendend und fruchtbarkeitsfördernd angesehen wurden.

Es war eine Mutterreligion, die die Frau und speziell ihren Schoßraum verehrte.

Der Schoßraum galt als heilig, als Raum des Mysteriums, das neues Leben empfängt und gebiert, als Tor ins Leben. Die Yoni wurde wegen ihrer segensspenden Kräfte gewürdigt.

So fand sich über manchen Kircheneingängen des frühchristlichen Irlands eine Sheela-na-gig, eine alte keltische Göttin, die ihre Beine über dem Portal öffnet und ihre Vulva präsentiert. Die Gläubigen strichen beim Eintritt in die Kirche über die Vulva und segneten sich damit. Welche schöner Weihesegen, der hier aus heidnischer Zeit erhalten geblieben war!

 

Die Göttinnenreligionen inspirierten mich, ich fühlte mich ihnen im Inneren sehr verbunden. Doch wie konnte aus diesem alten Wissen für mich eine gelebte weibliche Spiritualität in unserer heutigen Zeit werden?

 

Ich begann, mit einem Kreis von Frauen, später auch Männern, die Jahreskreisfeste zu feiern. Und spürte, wie sich Jahr um Jahr meine Verbindung zur Erde und ihren Zyklen vertiefte, wie sich mein persönlicher Lebensrhythmus mit dem großen Zyklus harmonisierte und sich das Gefühl verstärkte, im Fluß des Lebens und vom Leben getragen zu sein.

Ich kreierte meine eigenen Initiationsriten, feierte einen würdevollen Übergang ins Frausein nach und gründete eine Frauenforschungsgruppe, um tiefer die Mysterien des Schoßraumes und der spirituellen weiblichen Sexualität zu erkunden.

 

Der Schoßraum als Tor zur weiblichen Spiritualität

 

Im Schoßraum fand ich einen zentralen Schlüssel zur weiblichen Spiritualität!

Bereits bei meiner ersten Yonimassage (Yoni, sanskrit: „heilige Stätte“, Vagina)

hatte ich eine tiefe Offenbarung. Durch die achtsame, absichtslose und bewußte Berührung meines Schoßraumes, auch im Innenbereich der Yoni, spürte ich, wie ich tief mit dem Puls des Lebens, mit der göttlichen Kraft, die alles durchströmt, in Verbindung kam. Es war, als öffneten sich mir für einen    Moment die Tore zu meinem innersten Tempel und als berührte ich das Mysterium meines Schoßes. Tränen von sich erfüllender Sehnsucht rannen.

Es war ein Stück nach Hause kommen in mich selbst.

 

Diese Erfahrung wurde zu einem Wegweiser in meinem persönlichen Wachstum, später auch in meiner beruflichen Entfaltung.

Der Weg meiner Schoßheilung, der auch ein „Erwachen des Schoßes“ ist, wurde zu meinem spirituellen Weg.

Ich erlebte, wie sich durch die Schoßraumarbeit Schicht um Schicht persönlicher Verletzungen meiner Weiblichkeit lösten, wie sich dann auch kollektive Verletzungen des Frauseins zeigten und im Kreis von unterstützender Schwesternschaft transformieren konnten.

Erinnerung an altes Frauenwissen wurde in meinen Zellen wach, ich spürte, wie die Verbindung zu meinen uralten weiblichen Wurzeln wuchs.

Trennungen in mir konnten heilen – die Trennung von Schoß und Herz, Körper und Geist, Sex und Spirit.

 

Je mehr mein Schoßraum sich von dem Ballast der Vergangenheit befreite, desto wacher wurde er. Und umso mehr zeigte sich mir die spirituelle Dimension des Schoßes.

Der Schoßraum ist ein Ort, an dem Frauen zutiefst mit der Erde, dem Leben und allem Sein verbunden sind. Er ist ein Tor in Raum und Zeit, ein Tor zu erweiterten Bewußtsein und Gegenwärtigkeit. Er ist ein Traumraum, aus dem sich alles Leben neu träumt und gebiert. Der Ort, an dem Schöpfung stattfindet, in dem männlich und weiblich sich vereinen. Er ist ein unerschöpflicher Quell der Fülle, der Lebenslust, der pulsierenden Freude!

 

Eine Frau, die in ihrem Schoß erwacht, hat zu ihrem tiefen weiblichen Lachen und Strahlen gefunden. Ihre Sexualität gewinnt an spiritueller Tiefe. Sie ist verbunden mit ihrem inneren Wissen und ihrer Intuition. Selbstwert und weibliche Würde beginnen von innen her zu leuchten.

Friede breitet sich in ihr aus. Sie ist in sich zuhause und wird zu einem anziehenden Pol in der Welt.

 

So ist meine Suche nach einer gelebten weiblichen Spiritualität ihrer Erfüllung entgegengegangen. Indem ich der Sehnsucht in meinem Herzen gefolgt bin, hat sich der Weg vor mir entfaltet. Meine persönliche Heilungs- und Erwachensreise wurde zu meinem Beruf.

Ich liebe es, Frauen auf ihrem Weg zu ihrem weiblichen Erwachen zu begleiten. Es ist ein Weg der Heilung patriarchaler Wunden, ein Weg der Auflösung der entstandenen Trennungen in uns. Ein Weg der Rückverbindung zu unserem ureigensten Wesen und Wissen. Ein Weg der Entspannung in unser natürliches Sein.